Kojichu

Egal ob in Deutschland oder in Japan – jede Messe ist vollgestopft mit hunderten Messeständen. Zwangsläufig muss jeder Stand dem Besucher deshalb immer etwas mehr bieten als die Konkurrenz, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Die netten Hostessen reichen oftmals nicht aus – daher versuchen sich einige Stände an der ganz großen Show.

Ein klapperiger, farbloser Plastikstand ruft bei den Besuchern eher ein Gähnen als die große Neugier hervor, und so wundert es nicht, dass die meisten Stände einen regelrechten Kampf um die dicksten Lautsprecher und Bildschirme am Stand betreiben. Auch wenn oftmals gar nichts interessantes auf den Schirmen zu sehen ist (ich habe Stände gesehen, bei denen die ganze Zeit auf riesigen Schirmen nur das Logo eingeblendet wurde), scheint die Regel zu lauten: Je größer, desto besser. Manchmal laufen zumindest Werbesports in einer Dauerschleife oder das Produkt wird noch einmal detailreich in Szene gesetzt.
Auch beliebt: Das iPad. Oftmals steht Apples neuer Technik-Heilsbringer an Ständen aus, oder die Messehostessen kommen direkt mit dem Gerät auf den Kunden zu, um ein paar nette Infos über das Produkt zu zeigen. Die technikaffinen Japaner können offensichtlich ohnehin nicht wegschauen, solange das Produkt auf einen Bildschirm präsentiert wird.

In Deutschland steht das Wort „Show“ oftmals im Vordergrund eines Messestandes: Ein Sprüche klopfender Moderator wirft der gierigen Masse allerlei Werbeprodukte hin, manchmal stehen auch „prominente“ Paten für den Stand zur Verfügung (Wobei diese oft ihre beste Zeit hinter sich haben und nun ein Dasein als B- oder C-Prominenz fristen), oder berühmte Fernsehköche, die den Leuten kleine Kostproben ihrer neusten Kreationen reichen. Bei den Besuchern heißt es dann „survival of the fittest“, derjenige, der am meisten drängelt und schubst, bekommt das Goodie.

Auch in Japan gibt es diese „Showeinlagen“, erkennbar an kleinen Schildern vor dem Stand, die die Uhrzeit für die nächste Veranstaltung anzeigen. Meistens wird man von den Hostessen bereits auf dem Gang aufgefangen, und zu seinem Platz begleitet (ja, es gibt tatsächlich Sitzplätze). Meistens kommt kurze Zeit später ein japanischer Moderator mit einem Headset auf dem Kopf auf die Bühne, und erklärt anhand kleinerer Bilder und Statistiken die Genialität des Produktes. Zuschauerfragen sind durchaus gewünscht.

Alles läuft ruhig und ohne Hektik ab, keiner drängelt, keine kreischt. Selbst auf der FoodEx-Messe, wo es wirklich leckeres Essen gab, stellten sich die Leute brav in eine Reihe, und warteten, bis sie ihre Probe entgegennehmen konnten. Wenn nichts mehr da war, hatte man eben Pech gehabt. Trotzdem käme keiner auf die Idee, sich irgendwie vorzudrängen.

Eine deutsche Publikumsmesse, in der die Leute brav anstehen, um etwas zu bekommen? So sehr ich mich auch anstrenge, dieses Bild ist schwer vorstellbar. In Japan ist das Alltag: Am Bahnhof, in Restaurants oder eben an Messeständen – keiner kommt auf die Idee, sich aus reinem Egoismus einen Vorteil zu verschaffen. Die japanische Kultur legt viel Wert auf Harmonie, alles hat seine Ordnung und seine Regeln. Und wenn die Regel besagt, man stellt sich brav in die Reihe – dann wird das auch so gemacht.
Man möchte ja nicht aus der Reihe tanzen, ja vielleicht sogar die Aufmerksamkeit auf sich lenken.

Ich habe manchmal das Gefühl, in Deutschland freuen sich sogar die meisten, wenn sie endlich mal ein wenig Aufmerksamkeit bekommen – selbst wenn es negative Aufmerksamkeit in Form von Drängeleien ist. So eine Messe wird dann schnell mal zur Bühne des Einzelnen – wahrscheinlich undenkbar für alle Japaner.